Rüdiger Kolb

„Geh mal zu Frau B.,
die labert dich nicht
gleich voll!"


 

Gesprächs-
methodische Hilfen
zur Verbesserung
von Beratungs-
situationen

„Was soll ich machen?" Vor einer solchen
Frage und Entscheidungssituation stan-
den Sie sicher schon einmal, wenn Sie als
Lehrer von einem Schüler, einer Mutter
oder einem Vater mit einem heiklen Pro-
blem konfrontiert wurden. „Was würdest
du tun, wenn du in meiner Lage wärest?",
wird der Kollege gefragt, den man für
besonders kompetent und vertrauenswür-
dig hält. Wir suchen Rat in Situationen, in
denen wir glauben, nicht mehr alleine wei-
terzukommen. Manchmal werden uns
dann Ratschläge geradezu aufgedrängt,
wir werden ermahnt und unser Verhalten
wird interpretiert. Wenn wir selbst um Rat
gefragt werden, neigen wir schnell dazu,
Ratschläge und Lösungen, die wir kennen,
mitzuteilen.


 Belehren oder Verstellen?

Lehrer, aber auch Erzieher und andere im
Sozial- oder Gesundheitsbereich Tätige,
unterliegen oft der Versuchung zu beleh-
ren. Schließlich ist das „Lehren" und der
„Wissensvorsprung" fast so etwas wie ein
berufliches Markenzeichen. Doch so
wenig es die beste Lehrmethode für alle
Lerninhalte, für alle Lehrer und alle Schü-
ler gibt, sind wir die bestgeeignete Person
mit dem besten Rat für alle Ratsuchenden.
So will sich z. B. ein ratsuchender Schüler
zuerst einmal mit seinem Problem ver-
standen und angenommen fühlen. Doch
allzu oft werden „Straßensperren" auf
dem Weg der Kommunikation aufgebaut:
Mit versteckter Besserwisserei, Anord-
nungen, Ermahnungen, Überredungen,
Analysen und Interpretationen oder
einem platten Rat wird der Ratsuchende
oft im wahrsten Sinne des Wortes erschla-
gen (Gordon 1977, siehe Kasten).
Unter dem Druck, als Berater etwas bieten
zu müssen, neigen wir leicht dazu, un-
gewollt Kommunikationssperren aufzu-
bauen. Schnell fassen wir Fragen z. B. von
Schülern oder Eltern als reine Informa-
tionsfragen auf (Welche Möglichkeiten
gibt es mit dem Hauptschulabschluß?),
obwohl sich dahinter andere Problemstel-
lungen verbergen (Ich kenne jetzt alle
Möglichkeiten nach dem Hauptschulab-
schluß. Wie soll ich mich aber persönlich
entscheiden?). Dabei werden Kommuni-
kationssperren mit einem großen Arsenal
auch an non-verbalen Signalen (z. B. Stirn
runzeln) ausgedrückt, die oft in Wider-
spruch zu den verbalen Aussagen geraten.
Das Ergebnis ist meist dasselbe, in der
schulischen Beratung wie in anderen Bera-
tungssituationen: Der Ratsuchende ist
unzufrieden, fühlt sich mißverstanden
und hat ein schlechtes Gewissen, weil er
die Ratschläge nicht einhalten kann. Und
der Berater? Er ist wütend auf den
undankbaren Ratsuchenden, der die wohl-
gemeinten Ratschläge nicht erfüllt.

Hilfe zur Selbsthilfe

Ein Beratungsziel ist darum, daß der Rat-
suchende bald selbst mit seinem Problem
fertig wird, da der Berater das Problem sel-
ten stellvertretend für den Ratsuchenden
lösen kann. Aber statt den Ratsuchenden
zur Selbsthilfe anzuleiten und unabhängig
zu machen, brechen beim Berater immer
wieder unbewußte Wünsche und Einstel-
lungen durch (Schwäbisch/Siems 1974):

1. Statt den Ratsuchenden zur Selbsthilfe
anzuleiten, macht er ihn von sich abhän-
gig, oder

2. wenn er als Starker dem Schwachen
hilft, wertet er sich selbst auf, oder

3. er identifiziert sich so mit dem Problem
des Ratsuchenden, daß es zum eigenen
wird. Er kann sich nicht mehr distanzieren


und eine andere Position gegenüber dem
Problem einnehmen.
Kann ich als Berater der Gefahr entgehen,
meine Ziele mit den Zielen des Ratsuchen-
den zu verwechseln? Aber auch umge-
kehrt: Kann ich mich wehren, dessen offe-
nen oder verdeckten Wünschen zu ent-
sprechen, für ihn mit meinem angeblichen
Wissens- und Informationsvorsprung - zu
entscheiden, damit er für diese Entschei-
dung keine Verantwortung mehr tragen
muß?

Antwort—wie erwünscht ?

Selbst wenn Sie sich als Berater vorneh-
men, keine eigenen Ziele und Werte in
den Beratungsprozeß einfließen zu lassen,
vermitteln Sie ihre Wertungen doch durch
viele nicht-sprachliche Zeichen und
Anker.

Wir wissen oft nicht einmal, ob durch
bestimmte Fragen und unser Auftreten
ganz bestimmte Antworten induziert wer-
den. Der Ratsuchende antwortet so, wie er
glaubt, daß es der Berater gerne haben
möchte.

Ein Beispiel: Zwei Interviewer erhielten
unterschiedliche Antworten von densel-
ben Interviewpartnern in einem Obdach-
losenheim. Ein Interviewer war Alkohol-
gegner und ermittelte, daß 62 % der Fälle
durch Alkoholgenuß und 7% durch
Arbeitslosigkeit sowie schlechte sozio-
ökonomische Bedingungen verursacht
werden. Der andere Interviewer (ein
Sozialist) fand, daß 22% der Fälle durch
Alkohol und 39 % der Fälle durch Arbeits-
losigkeit bedingt waren. Die Interview-
partner hatten ohne Absicht ihre eigene
Wertvorstellungen den Interviewpartnern
suggeriert! Menschen neigen dazu, ihren
Helfer nicht enttäuschen zu wollen und
antworten in Richtung „sozialer Er-
wünschtheit".

Vor allem als Lehrer hat man Vermu-
tungen über den Schüler, das Problem
und Bedingungszusammenhänge. Rea-
giert der Schüler so, daß sich die Hypothe-
sen zu bestätigen scheinen, ist man in
Gefahr, ihn sofort in diese Richtung zu
verstärken.

Deshalb wird vom professionellen Berater
und Therapeut immer wieder gefordert,
daß er sich in Supervision seinen (ver-
steckten) Wünschen und Bedürfnissen
bewußt wird. Vergessen dabei darf man
nicht, die persönlichen Bedürfnisse und
Verhaltensprogramme im gesellschaftli-
chen Rahmen zu sehen. Laienberater
ohne Supervision haben es schwerer.
Beim „Tauschgeschäft" zwischen Berater
und Ratsuchendem werden Anerkennung
gegen Problemlösung geboten. Einfache
Informationsprobleme sind zwar meist
einfach durch Informationen zu lösen.
Doch wenn hinter einfachen Problemen
komplizierte Sachverhalte stecken, benö-
tigen wir dann auch immer komplizierte


Beratungstechniken? Nicht immer. Zu-
nächst geht es darum, Zugang zum Ratsu-
chenden zu gewinnen, damit er sich öff-
nen kann.

Berater —
Grundhaltungen

Diese Ermutigung wird der Berater nur
dann glaubhaft vertreten können, wenn er
folgende Grundhaltungen zeigt:

1. Emotionale Wärme, Akzeptieren und
Achten des Gegenübers (Akzeptanz)

2. Einfühlendes Verstehen (Empathie)

3. Echtheit im Verhalten des Beraters

(Kongruenz)

Diese Variablen haben sich auch in der

empirischen Forschung als wichtig für den

Erfolg   von   Beratungsgesprächen   und

Gesprächstherapien erwiesen (Bachmair

u.a. 1983).

Die Brille der eigenen
Erfahrungen

Warum stellen wir diese Grundhaltungen
den Gesprächsmethoden voran? In einer
Welt von Werten und Begriffen ist Wahr-
nehmung ein sozial-selektiver, kein objek-
tiver Prozeß, der u. a. durch die Interak-
tion von Gruppenmitgliedern, durch Rol-
len- und Normeinflüsse, durch kulturelle
Einflüsse, durch Sprache, durch die indivi-
duelle Entwicklung des Wahrnehmenden
beeinflußt wird. Menschen verarbeiten
wegen ihrer unterschiedlichen Vorerfah-
rungen, Lebensgeschichte und Umwelt
recht unterschiedlich ihre Probleme und
ihre Wirklichkeit.

In Experimenten wurde z. B. festgestellt,
daß Versuchspersonen beim Schätzen von
verschiedenen Strecken ihr Urteil sofort
veränderten, wenn sie das falsche Urteil
anderer (vom Versuchsleiter eingeweih-
ter) Personen hörten. — Viele Menschen
vertreten im Dienst und im Beruf eine
andere Meinung als privat. — Eskimos
unterscheiden sechs Sorten Schnee, Ama-
zonas-Indianer haben sieben Bezeichnun-
gen für die Farbe grün, da diese Dinge dort
einen anderen Stellenwert haben als hier
in unserem Kulturraum:.
Neue Informationen und "Ratschläge wer-
den besonders abgewehrt oder extrem
verändert, wenn sie in die kognitive Struk-
tur des Ratsuchenden nicht passen. Das
hat nichts mit Unfähigkeit zu tun, sondern
ist eine einfache psychologische Tatsache.
Trifft ein Mensch auf etwas Neues in sei-
nem Leben, so muß er das nämlich mit
seinem Selbstbild und seinem Selbst-
Konzept vereinbaren. Er kann dabei

O die neue Erfahrung akzeptieren und in
Beziehung zu seinem Selbstkonzept set-
zen, oder


WPB 1/1987   9


 Kommunikationsbarrieren

1. Befehlen, kommandieren, anordnen. Beispiel: „Hör aufzujammern und
sieh zu, daß du mit deiner Arbeit fertig wirst."

2. Warnen, drohen. Beispiel: Reiß dich lieber zusammen, wenn du erwartest, in
dieser Klasse eine gute Zensur zu bekommen."

3. Moralisieren, predigen, mit „müßtest" und „solltest" argumentieren. Bei-
spiel: „Du weißt, du mußt lernen, wenn du in die Schule kommst. Deine per-
sönlichen Probleme solltest du lieber zu Hause lassen, wo sie hingehören."

4. Raten, Lösungen oder Vorschläge anbieten. Beispiel: „Es ist gut für dich,
wenn du dir einen besseren Zeitplan machst. Dann kannst du alle deine
Arbeiten erledigen."

5. Belehren, Vorträge halten, mit logischen Argumenten kommen. Beispiel:
„Wir wollen doch den Tatsachen ins Auge sehen. Erinnere dich lieber daran,
daß du nur noch 34 Schultage hast, um deine Arbeit abzuschließen."

6. Verurteilen, kritisieren, widersprechen, beschuldigen. Beispiel: „Entweder
bist du ganz einfach faul oder du bist ein großer Bummelant."

7. Beschimpfen. Klischees verwenden, etikettieren. Beispiel: „Du benimmst
dich wie ein Schulanfänger und nicht wie jemand, der bald in die Oberschule
kommt."

8. Interpretieren, analysieren, diagnostizieren. Beispiel: „Du versuchst einfach,
dich um deine Aufgabe zu drücken."

9. Loben, zustimmen, positive Bewertungen geben. Beispiel: „Eigentlich bist
du doch ein ganz tüchtiger junger Mann. Ich bin sicher, du wirst irgendwie
dahinterkommen, wie es gemacht wird."

10. Beruhigen, mitfühlen, trösten, unterstützen. Beispiel: „Du bist nicht der ein-
zige, dem es je so ergangen ist. Bei schweren Aufgaben habe ich das auch
erlebt. Nebenbei bemerkt, wenn du erstmal angefangen hast, wird es dir
nicht mehr schwer vorkommen."

11. Fragen, sondieren, verhören, ins Kreuzverhör nehmen. Beispiel: „Glaubst
du, diese Aufgabe war zu schwer?" „Wieviel Zeit hast du daran gewandt?"
„Warum hast du so lange gewartet, bevor du um Hilfe gebeten hast?" „Wie-
viele Stunden hast du daran gearbeitet?"

12. Zurückziehen, ablenken, sarkastisch sein, aufheitern, zerstreuen. Beispiel:
„Na komm, laß uns über was Angenehmeres reden." „Jetzt ist nicht der
Augenblick dafür." „Wir wollen zu unserem Unterrichtsthema zurückkeh-
ren." „Da scheint heute morgen aber einer mit dem falschen Bein aufgestan-
den zu sein."                                               (Gordon 1977)


O die Erfahrung einfach ignorieren, da er
keine Beziehung zu seinem Selbst erken-
nen und wahrnehmen kann, oder

O die neue Erfahrung verändern bis sie in
sein eigenes Konzept paßt.

Trotz der möglichen Abwehrhaltungen
hat jeder Mensch andererseits die grundle-
gende Tendenz, sich zu verwirklichen und
zu vervollkommnen, d.h. sich für neue
Erfahrungen zu öffnen und sich kreativ
neuen Ereignissen anzupassen (Rogers,
1972).

Wir müssen wissen, daß der Ratsuchende
in der Beratungssituation durch einen sehr
widersprüchlichen Prozeß geht. Wenn er
sich in die Beratungssituation begibt und
öffnet, muß er sich und einem ändern
gegenüber eingestehen, daß er (wenig-
stens augenblicklich) nicht alleine mit sei-
nem Problem fertig wird. Dies bedeutet
für ihn eine narzißtische Kränkung, die
vom Berater aufgefangen, nicht aber aus-
genutzt werden soll. Der Ratsuchende
benötigt Ermutigung und eine Atmos-
phäre der Sicherheit, die von den o.a.
Grundhaltungen getragen wird. Es kann
also zunächst nicht darum gehen, den Rat-
suchenden zu überzeugen, was wahr und
problemlösend ist.

Beratungskontext

An drei Beispielen möchten wir nun der
Frage konkret nachgehen, wie der Ratsu-
chende und der Berater von zeitlichen,
räumlichen und sozialen Kontext sowohl
in der Beratungssituation als auch bei der
Problembetrachtung beeinflußt werden
können.

O Ein Beratungsgespräch findet in einem
Rektoratszimmer statt. Der angeblich ver-
haltensgestörte Schüler wurde acht Tage
vor diesem Gespräch mit dem Beratungs-
lehrer in diesem Raum vom Rektor ver-
warnt. Der Beratungslehrer sitzt jetzt hin-
ter dem dicken Schreibtisch. Wie fühlt er
sich? Als kleiner Rektor? Welche Gefühle
hat der Schüler? Welche Rolle spielt die
Räumlichkeit in der Beratungssituation ?

O Ein Beratungslehrer unterhält sich mit
einem Schüler über dessen Schulleistun-
gen. Der Schüler reagiert abwesend und
denkt immer an die Mathematikarbeit, die
er in der vorhergehenden Stunde wahr-
scheinlich verhauen hat. Der beratende
Lehrer wird durch Telefonanrufe abge-
lenkt und denkt des öfteren an die nächste
Unterrichtsstunde mit einer besonders
schwierigen Klasse. Welchen Einfluß hat
die Vergangenheit, die Gegenwart und die
Zukunft auf beide?

O Ein Schüler wird von einem Lehrer als
stark verhaltensgestört und auffällig dar-
gestellt. Der Lehrer hält einen frontalen

Unterricht, in dem die Schüler vor allem
ruhig rezipieren müssen. Die Mehrzahl
der Schüler verhält sich angepaßt und
unauffällig und reagiert nur bei Aufforde-
rung durch den Lehrer. Als der Schüler
dann in eine sehr lebhafte Klasse über-
wechselt, fällt er nicht mehr besonders auf
und erscheint integriert. Vor dem lebhaf-
ten Hintergrund hebt sich die Figur des
Schülers nicht so ab, wie in der ruhigen
Klasse. Wie sieht der Berater das Problem
unter dem Aspekt des ganzen Umfeldes?
Deshalb müssen wir in Beratungsgesprä-
chen auch auf die äußere Atmosphäre ach-
ten und Störgrößen (wie beispielsweise
Telefonanrufe, hektische Atmosphäre,
Ablenkungen etc.) unterbinden.

Der Beratungsprozeß

In Beratungen finden sich trotz verschie-
dener Methoden und Techniken der Bera-
ter immer wieder ähnliche Problemlöse-
prozesse, die die Grundlage für die Tech-
nik und Strategie bilden können. Die Pro-
zesse können sich mehrmals wiederholen.
Die wichtigsten Fixpunkte:


1. Situations- und Beziehungsdefinition
Zunächst muß eine Beziehung zwischen
Ratsuchenden und Berater hergestellt und
verankert werden. Egal ob die Beziehung
und Beratungssituation bewußt definiert
wird, — es treffen Erwartungshaltungen
aufeinander, die die Situation reglemen-
tieren. Der Berater muß Zugang gewin-
nen, ohne die Fäden aus der Hand zu
geben.

2. Problemdefmition und -analyse
Während bestimmte Berater die Proble-
matik genau und rational mit dem Ratsu-
chenden definieren wollen, arbeiten
andere eher die Gefühle des Ratsuchenden
heraus. Wieder andere Berater versuchen,
den Ratsuchenden durch Zieldefmitionen
schon von vornherein vom Problem abzu-
trennen oder dem Ratsuchenden bewußt
zu machen, daß das problematische Ver-
halten irgendeinen „positiven Zweck" ver-
folgt. Generell aber gilt:
In dem Maß, wie der Berater den Ratsu-
chenden in dieser Phase akzeptiert oder
infrage stellt, lernt der Ratsuchende das-
selbe mit sich selbst zu tun.


 

3. Umdeutung, Löschung — Distanzierung
vom Problem — die Entwicklung von Einsicht
Letztlich muß der Ratsuchende zu seinem
Problem eine neue Position beziehen.
Dadurch gewinnt er Einsicht und kann
evtl. auch seine negativen Gefühle
löschen. Neue Einstellungen können aber
auch verwirren und frustrieren, vor allem
wenn sie mit unrealistischen Forderungen
an den Ratsuchenden verbunden sind.

4. Andere Lösungsmöglichkeiten und
Lösungskontrollen

Das problematische Verhalten wird auf-
gegeben, wenn etwas Besseres gefunden
ist.

Hier schließt sich der Kreis, denn was das
Beste für den Ratsuchenden ist, muß die-
ser und dessen Wirklichkeit entscheiden:
Er muß Verantwortung für sich überneh-
men.

Strukturierungshilfe:
Problemlösestrategie

Die genannten Schritte in Problemlöse-
prozessen kann man auch bei der Bera-
tung von Gruppen als Strukturierungs-
hilfe nutzen, man gibt der Gruppe diese
Fixpunkte als Diskussionsrahmen.
Ziel ist es, den Diskussionsprozeß in der
Gruppe durchschaubar zu machen und
alle am Konflikt oder Problem Beteiligten
in den Problemlöseprozeß einzubeziehen.
Bei einem Konflikt zwischen Lehrern/
Schülern kann man beispielsweise syste-
matisch fragen:

Problemdefinition analyse: Wie sehen
Lehrer das Problem? Wie sehen Schüler
das Problem? Worin unterscheiden sich
die Sichtweisen? Welches Bedingungsmo-
dell des Problems können alle Beteiligten
akzeptieren?

Zielanalyse —, planung: Was wollen alle
Beteiligten erreichen? Welchen Weg, wel-
ches Verhalten wählen die Beteiligten?

Lösungsrealisation —, kontrolle:Wie unter-
scheidet sich die Lösungsalternative
vom angestrebten Lösungsweg? Welche
Schwierigkeiten ergeben sich? Wurde das
Ziel erreicht? Wie beurteilen die Beteilig-
ten den Lösungsversuch?

Methodische Hilfen:
z. B. „Türöffner",
Aktives Zuhören

Auf die komplizierte und komplexe Bera-
tungssituation geben Gesprächstherapeu-
ten eine einfache, fast zu bescheidene
Antwort: Schweigen und aktives Zuhören.
Bekanntlich kann man nicht nicht kom-
munizieren (Watzlawik u. a. 1969). Ob wir
wirklich zuhören, verraten wir in vielen


 

„Türöffner": Nicht festlegende Aufforderung

Eine meiner Schülerinnen hielt sich, wann immer Gelegenheit sich bot, in mei-
ner Nähe auf, als ob sie etwas sagen wollte, aber nicht wußte, wie sie anfangen
sollte. Gestern beschloß ich, es mit einem Türöffner zu versuchen und abzuwar-
ten, was geschehen würde. Ich fragte sie: — Gibt es etwas, über das du mit mir
sprechen möchtest? — Zuerst stotterte sie so herum und wußte nicht, wo sie
anfangen sollte, und ich biß mir auf die Zunge und hielt mich an — Hmhm — und
— Aha —. Endlich taute sie auf und redete zehn Minuten lang ohne Punkt und
ohne Komma. Ich hatte keine Ahnung, daß sie so viel mit sich herumschleppte.
Es fiel mir wirklich sehr schwer, keine Fragen zu stellen. Nach diesem kurzen
Gespräch von zehn Minuten schien ihr sehr viel besser zu Mute zu sein, und ich
fühlte mich ihr richtig nahe. Am Ende drückte sie mir die Hand. Es ist unglaub-
lich, wie sehr es ihr half, daß ich einfach nur zuhörte...   (Gordon 1977)

 

non-verbalen Reaktionen, wie Nicken, die
Stirne runzeln, freundliches Lächeln zei-
gen und mit verbalen Winken, wie Mm,
aha usw. Mit nicht festlegenden Aufforde-
rungen ermuntern wir den Ratsuchenden:
„Möchtest du mehr darüber erzählen?" —
oder: „Das klingt, als berührt dich das sehr
stark", — oder: „Möchtest du mehr dar-
über sprechen?. Wichtig ist, daß dies
offene Botschaften sind, die keine Bewer-
tung dessen, was gesagt wird, enthalten
(siehe Kasten). Die Muster, die hervorra-
gende Therapeuten benutzen, um eine
Beziehung, einen „Rapport" zum Klienten
herzustellen, sind sehr ähnlich, wenn die
Art der Verpackung auch verschieden ist.
Es gelingt ihnen, genau auf der Wahrneh-
mungsebene des Klienten in Kontakt zu
treten (Bandler, Greinder 1983). Es gibt
Ratsuchende, die (abgesehen von Körper-
signalen) auch durch den Gebrauch
bestimmter Verben verraten, ob sie mehr
im visuellen Bereich, auditiven oder kin-
ästhetischen Bereich denken.
Zuhören und Schweigen ist also weit mehr,
als wir zunächst einmal äußerlich ver-
muten könnten!

Paraphrasieren und
Verbalisieren emo-
tionaler Erlebnisinhalte

Mit der Technik des Paraphrasierens wie-
derholen oder umschreiben wir die Aus-
sagen des Ratsuchenden mit unseren eige-
nen Worten. Der Ratsuchende kann
erkennen, wie wir seine Aussage verstan-
den haben. Dadurch können Mißver-
ständnisse sofort beseitigt werden. Ein
Schüler sagt beispielsweise zum beraten-
den Lehrer: „Ich kann das einfach nicht.
Ich bin dafür nicht begabt. Mein Bruder
war in Deutsch genauso schlecht. Wie soll
das nur weitergehen?". Der Lehrer ant-
wortet: „Du glaubst, daß du in Deutsch
unbegabt bist und weißt nicht, wie du dich
verbessern kannst". — Das Paraphrasieren
kann dabei in Aussageform (du glaubst...)
oder in Frageform „glaubst du..." erfol-
gen.

Abgesehen davon, daß Wiederholungen
echohaft klingen können, besteht nun die
Gefahr beim Paraphrasieren, daß der
Berater auf einer ganz anderen Wahrneh-
mungsebene antwortet. Schüler: „Also
wissen sie, lange Zeit konnte ich sehen,
wie ich tatsächlich aufstieg und immer
besser wurde, und dann plötzlich, habe ich
mich einmal umgeschaut, mein Leben sah
leer aus. Immer nur Lernen und Arbeiten.
Können sie sich das vorstellen? Ich meine,
können sie sich ein Bild davon machen,
was das für mich bedeutet?" Lehrer: „Ich
glaube, sie empfanden nach ihrem Auf-
stieg Leere und sie wollen das Gefühl
ändern". Hier hebt der Berater auf kinäste-
tische Empfindungen ab, obwohl der Rat
suchende eindeutig sich im visuellen


 

Bereich bewegt. Es wird also beiden
schwer fallen, einen „Rapport" herzustel-
len.

Gerade beim Verbalisieren emotionaler
Erlebnisinhalte, einer effektiven ge-
sprächstherapeutischen Technik, müssen
wir vorsichtig sein, nicht die Wahrneh-
mungsebenen zu verwechseln. Es besteht
auch die Gefahr, daß sich der Ratsuchende
immer wieder mit seinem Gefühl im
Kreise bewegt, wenn er nicht durch einen
Anker des Beraters herausgeführt wird.
Was ist das Verbalisieren emotionaler
Erlebnisinhalte? Ein Beispiel: „Ich kann
das einfach nicht. Ich bin dafür nicht
begabt. Mein Bruder war in Deutsch
genauso schlecht. Wie soll das nur weiter-
gehen?" Der Lehrer verbalisiert die
Gefühle, die in dieser Aussage mitschwin-
gen: „Du hast Zweifel, daß du besser wer-
den kannst und Angst, daß sich deine Lage
nicht bessert, eher verschlechtert". Der
Schüler teilt seine Gefühle indirekt mit.
Der Lehrer spiegelt ihm in seiner Antwort
seine Gefühle direkt wider. Dadurch kann
Schüler seine Gefühle besser erkennen
und sich besser mit ihnen auseinanderset-
zen. Außerdem erfährt er, wie er mit sei-
nen Aussagen auf den Lehrer wirkt. Er
lernt am Modell des beratenden Lehrers,
seine Gefühle direkt auszudrücken. Das
ist eine Voraussetzung, Verantwortung für
die eigenen Gefühle zu übernehmen. Die
Wahrnehmungsebenen werden erweitert.
Das Verbalisieren von Gefühlen kann
Gefühle so bewußt machen, daß sie plötz-
lich voll ausbrechen und den Ratsuchen-
den ergreifen. Nur eine akzeptierende und
entspannte Atmosphäre wird erlauben,
den Gefühlsausbruch nutzbringend zu
bearbeiten. Beim Verbalisieren emotiona-
ler Erlebnishaltungen müssen wir aufpas-
sen, daß wir nicht zu schnell ins Interpretie-
ren verfallen oder unseren Gesprächspart-
ner mit Gefühlen konfrontieren, die ihn so
erschrecken, daß er aus innerem Wider-
stand die Beratung abbricht.

Gefahren und Einwände

Wesentliches Ziel partnerzentrierter Bera-
tung ist es, den Ratsuchenden zur eigenen
Einsicht, zur Selbsthilfe und zur Verant-
wortung anzuregen. Der Ratsuchende soll
ernst genommen werden und im Mittel-
punkt des Beratungsprozesses stehen.
Wenn man dieses Ziel betrachtet, ohne
den dahinterliegenden Beratungsprozeß
zu beachten, könnte der Eindruck entste-
hen, als ob der Berater nur das Problem
zurückgibt und sich jeglicher Verantwor-
tung entledigt.

Das Zuhören als aktiver Prozeß ist mehr
als nur das Zurückgeben oder gar Abweh-
ren des Problems oder ein-sich-selbst-
überlassen des Ratsuchenden. Im Berater
spiegelt sich das Problem des Ratsuchenden.
Der Ratsuchende kann das Problem quasi
wie im Spiegel sehen, der nicht sofort wer-


tet und abblockt und Lösungen aufdrängt.
Dieser Spiegel gibt das Problem verändert
wieder. Er entzerrt Gefühle und Bedin-
gungszusammenhänge. Eine tragfähige
vertrauensvolle Beziehung ist Vorausset-
zung, daß sich die Ratsuchenden einen
persönlichen Notstand eingestehen und
zu sich selbst Kontakt aufnehmen kön-
nen.

Ratsuchende sollten im Idealfall freiwillig
zur Beratung kommen. Viele Ratsu-
chende stehen jedoch unter einem großen
Leidensdruck und sozialen Druck, viele
Kinder und Jugendliche werden regel-
recht zur Beratung „abgeliefert". Auf der
anderen Seite fehlt das Wissen über
Beratungsmöglichkeiten, und es besteht
Furcht oder Abneigung vor einer Bera-
tung.

Organisationen, Familien usw. haben als
Systeme die Tendenz, sich soweit zu
bewegen, daß es möglich ist, sich eben
nicht zu verändern, heißt es in einer
Systemregel.

O Oft wird ein sogenannter schwieriger
Fall oder das Problemkind beim Berater
„abgegeben". Der soll es in Ordnung brin-
gen, um es wieder in das System zu inte-
grieren. Dabei ist doch klar: Jeder lehnt für
seine Person die Definition des „Klienten"
und Nutznießers des Beraters ab.

O Durch Schuldzuschreibungsprozedu-
ren werden der schwierige Fall oder sein
Berater zum Sündenbock erklärt, wenn
sich das Problem nicht lösen und wieder
integrieren läßt. Lehrer suchen das Pro-
blem im betreffenden Schüler oder in sei-
ner Familie, selten in der Schule oder der
Unterrichtsgestaltung begründet. Umge-
kehrt schreibt die Familie der Schule und
dem Lehrer alle Schuld zu ...

O Das System sucht sich die Bestätigung
des eigenen Standpunktes durch den
Berater. Der Berater wird in eine Richter-
rolle gedrängt, in der er möglichst wissen-
schaftlich das Problem und dessen Unlös-
barkeit bestätigen soll.

Letztenendes wird dann der Problem-
schüler in einer besonderen Einrichtung
zur Reparatur überwiesen, wenn es dem
Berater nicht gelingt, Zugang zu allen am
Problem Beteiligten zu gewinnen und das
Problem kooperativ in die Mitte zu legen.
Der Berater darf deshalb weder als Anklä-
ger und Kritiker, noch als Therapeut, noch
als pädagogischer „Überfachmann" auftre-
ten.

Er muß den Beteiligten beibringen, daß
allein ihm als Berater nicht einfach die
Verantwortung für die Lösung eines Kon-
fliktes übertragen werden kann. Er soll
und kann nicht die Anlaufstation sein, die
im Notfall die Probleme auf die eigenen
Schultern lädt, um andere damit zu ent-
lasten. Kollegen und Eltern zur Mitarbeit


zu gewinnen, ist eine schwere, aber ent-
scheidende Überzeugungsarbeit, die beim
Berater die Bereitschaft voraussetzt, seine
Rolle offen darzulegen und seine beschei-
dene Kompetenz als Vermittler zu ver-
deutlichen und vor allem wahrzunehmen.
Und last but not least: Er muß damit rech-
nen, daß Mißerfolge auf ihn zurückgeführt
werden und die „Problemanden" Erfolge
sich selbst zuschreiben...            O

Literatur:

Bachmair, S. u. a.: Beraten will gelernt sein.
Weinheim 1983, 19853

Bandler, R., Grinder, J.: Neue Wege der Kurz-
zeit-Therapie Paderborn 1981
Gordon, Th.: Lehrer — Schüler — Konferenz.
Hamburg 1977

Kolb, R.: Ein integrierter Ansatz für die Fortbil-
dung zum Beratungslehrer. In: Psychologie in
Erziehung und Unterricht. 30. Jg., S. 310-318,
1983

Kolb, R.: Probleme bei Fallgesprächen in päda-
gogischen, rehabilitativen und psychiatrischen
Einrichtungen. In: Psychologie in Erziehung
und Unterricht. 32. Jg., S. 47-52, 1985
Kolb, R.: Beraten statt belehren. In: Schul-
praxis. 6. Jg., Bd. 3, S. 20-22, 1986
Rogers,   C.R.: Die  nichtdirektive  Beratung.
München 1972

Rüdiger Kolb, Jg.
1948, Dipl.-Psych.;
Dipl.-Päd.;
Referent für die
Beratungslehreraus-
bildung in Baden-
Württemberg    

 Westermanns Pädagogische Beiträge 1/1987   13