„Geh mal zu Frau B.,
die labert dich nicht
gleich voll!"
Gesprächs-
methodische Hilfen
zur Verbesserung
von Beratungs-
situationen
„Was soll ich machen?" Vor einer solchen
Frage
und Entscheidungssituation stan-
den Sie sicher
schon einmal, wenn Sie als
Lehrer
von einem Schüler, einer Mutter
oder
einem Vater mit einem heiklen Pro-
blem
konfrontiert wurden. „Was würdest
du tun,
wenn du in meiner Lage wärest?",
wird der Kollege gefragt, den
man für
besonders kompetent und vertrauenswür-
dig hält. Wir suchen Rat in
Situationen, in
denen wir glauben, nicht mehr
alleine wei-
terzukommen. Manchmal werden uns
dann Ratschläge geradezu
aufgedrängt,
wir werden ermahnt und unser
Verhalten
wird interpretiert. Wenn wir selbst
um Rat
gefragt werden, neigen wir schnell
dazu,
Ratschläge und Lösungen, die wir
kennen,
mitzuteilen.
Belehren oder Verstellen?
Lehrer, aber auch Erzieher und andere im
Sozial-
oder Gesundheitsbereich Tätige,
unterliegen
oft der Versuchung zu beleh-
ren.
Schließlich
ist das „Lehren" und der
„Wissensvorsprung"
fast so etwas wie ein
berufliches
Markenzeichen. Doch so
wenig es
die beste Lehrmethode für alle
Lerninhalte,
für alle Lehrer und alle Schü-
ler
gibt, sind wir die bestgeeignete Person
mit dem
besten Rat für alle Ratsuchenden.
So will
sich z. B. ein ratsuchender Schüler
zuerst einmal mit seinem Problem
ver-
standen und angenommen fühlen. Doch
allzu oft werden „Straßensperren" auf
dem Weg der Kommunikation aufgebaut:
Mit versteckter Besserwisserei,
Anord-
nungen, Ermahnungen, Überredungen,
Analysen und Interpretationen oder
einem platten Rat wird der
Ratsuchende
oft im wahrsten Sinne des Wortes
erschla-
gen (Gordon 1977, siehe Kasten).
Unter dem Druck, als Berater etwas bieten
zu müssen, neigen wir leicht
dazu, un-
gewollt Kommunikationssperren aufzu-
bauen. Schnell fassen wir Fragen z.
B. von
Schülern oder Eltern als reine
Informa-
tionsfragen auf (Welche Möglichkeiten
gibt es mit dem Hauptschulabschluß?),
obwohl sich dahinter andere
Problemstel-
lungen verbergen (Ich kenne jetzt alle
Möglichkeiten nach dem Hauptschulab-
schluß. Wie soll ich mich aber
persönlich
entscheiden?). Dabei werden Kommuni-
kationssperren mit einem großen Arsenal
auch an non-verbalen Signalen (z. B.
Stirn
runzeln) ausgedrückt, die oft in
Wider-
spruch zu den verbalen Aussagen
geraten.
Das Ergebnis ist meist dasselbe, in
der
schulischen Beratung wie in anderen
Bera-
tungssituationen: Der Ratsuchende ist
unzufrieden, fühlt sich
mißverstanden
und hat ein schlechtes
Gewissen, weil er
die Ratschläge nicht einhalten kann.
Und
der Berater? Er ist wütend auf den
undankbaren Ratsuchenden, der die
wohl-
gemeinten Ratschläge nicht erfüllt.
Hilfe zur Selbsthilfe
Ein Beratungsziel ist darum, daß der Rat-
suchende
bald selbst mit seinem Problem
fertig
wird, da der Berater das Problem sel-
ten
stellvertretend für den Ratsuchenden
lösen
kann. Aber statt den Ratsuchenden
zur
Selbsthilfe anzuleiten und unabhängig
zu
machen, brechen beim Berater immer
wieder
unbewußte Wünsche und Einstel-
lungen durch (Schwäbisch/Siems 1974):
1. Statt den Ratsuchenden zur Selbsthilfe
anzuleiten,
macht er ihn von
sich abhän-
gig, oder
2. wenn er als Starker dem Schwachen
hilft,
wertet er sich selbst auf, oder
3. er identifiziert sich so mit dem Problem
des
Ratsuchenden, daß es zum eigenen
wird.
Er kann sich nicht mehr distanzieren
und eine andere Position gegenüber dem
Problem
einnehmen.
Kann ich
als Berater der Gefahr entgehen,
meine
Ziele
mit den Zielen des Ratsuchen-
den zu
verwechseln? Aber auch umge-
kehrt:
Kann ich mich wehren, dessen offe-
nen
oder verdeckten Wünschen zu ent-
sprechen,
für ihn mit meinem angeblichen
Wissens- und Informationsvorsprung - zu
entscheiden,
damit er für diese Entschei-
dung
keine Verantwortung mehr tragen
muß?
Antwort—wie erwünscht ?
Selbst wenn Sie sich als Berater vorneh-
men,
keine eigenen Ziele und Werte in
den
Beratungsprozeß einfließen zu lassen,
vermitteln Sie ihre Wertungen doch durch
viele
nicht-sprachliche Zeichen und
Anker.
Wir wissen
oft nicht einmal, ob durch
bestimmte Fragen und unser Auftreten
ganz bestimmte Antworten induziert wer-
den. Der Ratsuchende antwortet so,
wie er
glaubt, daß es der Berater gerne haben
möchte.
Ein Beispiel: Zwei Interviewer erhielten
unterschiedliche
Antworten von densel-
ben
Interviewpartnern in einem Obdach-
losenheim.
Ein Interviewer war Alkohol-
gegner
und ermittelte, daß 62 % der Fälle
durch
Alkoholgenuß und 7% durch
Arbeitslosigkeit
sowie schlechte sozio-
ökonomische Bedingungen verursacht
werden.
Der andere Interviewer (ein
Sozialist) fand, daß 22% der Fälle durch
Alkohol
und 39 % der Fälle durch Arbeits-
losigkeit
bedingt waren. Die Interview-
partner
hatten ohne Absicht ihre eigene
Wertvorstellungen
den Interviewpartnern
suggeriert!
Menschen neigen dazu, ihren
Helfer
nicht enttäuschen zu wollen und
antworten
in Richtung „sozialer Er-
wünschtheit".
Vor allem
als Lehrer hat man Vermu-
tungen über den Schüler, das Problem
und Bedingungszusammenhänge. Rea-
giert der Schüler so, daß sich die
Hypothe-
sen zu bestätigen scheinen, ist man in
Gefahr, ihn sofort in diese Richtung zu
verstärken.
Deshalb wird vom professionellen Berater
und
Therapeut immer wieder gefordert,
daß er sich in Supervision seinen (ver-
steckten)
Wünschen und Bedürfnissen
bewußt
wird.
Vergessen dabei darf man
nicht, die persönlichen Bedürfnisse und
Verhaltensprogramme
im gesellschaftli-
chen
Rahmen zu sehen. Laienberater
ohne
Supervision haben es schwerer.
Beim
„Tauschgeschäft" zwischen Berater
und Ratsuchendem werden Anerkennung
gegen
Problemlösung geboten. Einfache
Informationsprobleme
sind zwar meist
einfach durch Informationen
zu lösen.
Doch wenn hinter einfachen Problemen
komplizierte Sachverhalte stecken,
benö-
tigen wir dann auch immer
komplizierte
Beratungstechniken? Nicht immer. Zu-
nächst
geht es darum, Zugang zum Ratsu-
chenden
zu gewinnen, damit er sich öff-
nen
kann.
Berater —
Grundhaltungen
Diese
Ermutigung wird der Berater nur
dann glaubhaft vertreten können, wenn er
folgende Grundhaltungen zeigt:
1.
Emotionale Wärme, Akzeptieren und
Achten des Gegenübers (Akzeptanz)
2. Einfühlendes Verstehen (Empathie)
3. Echtheit im Verhalten des Beraters
(Kongruenz)
Diese Variablen haben sich auch in der
empirischen Forschung als wichtig für den
Erfolg von Beratungsgesprächen und
Gesprächstherapien erwiesen (Bachmair
u.a. 1983).
Die
Brille der eigenen
Erfahrungen
Warum stellen wir diese Grundhaltungen
den
Gesprächsmethoden voran? In einer
Welt von
Werten und Begriffen ist Wahr-
nehmung ein sozial-selektiver, kein objek-
tiver
Prozeß, der u. a. durch die Interak-
tion von
Gruppenmitgliedern, durch Rol-
len- und
Normeinflüsse, durch kulturelle
Einflüsse,
durch Sprache, durch die indivi-
duelle
Entwicklung des Wahrnehmenden
beeinflußt
wird. Menschen verarbeiten
wegen
ihrer unterschiedlichen Vorerfah-
rungen,
Lebensgeschichte und Umwelt
recht
unterschiedlich ihre Probleme und
ihre
Wirklichkeit.
In Experimenten wurde z. B. festgestellt,
daß
Versuchspersonen beim Schätzen von
verschiedenen
Strecken ihr Urteil sofort
veränderten, wenn sie das falsche Urteil
anderer
(vom Versuchsleiter eingeweih-
ter) Personen hörten. — Viele Menschen
vertreten im Dienst und im
Beruf eine
andere Meinung als privat. — Eskimos
unterscheiden sechs Sorten Schnee,
Ama-
zonas-Indianer haben sieben Bezeichnun-
gen für die Farbe grün, da diese
Dinge dort
einen anderen Stellenwert haben als
hier
in unserem Kulturraum:.
Neue Informationen und
"Ratschläge wer-
den besonders abgewehrt oder extrem
verändert, wenn sie in die kognitive Struk-
tur des Ratsuchenden nicht passen.
Das
hat nichts mit Unfähigkeit zu tun,
sondern
ist eine einfache psychologische
Tatsache.
Trifft ein Mensch auf etwas Neues in
sei-
nem Leben, so muß er das nämlich mit
seinem Selbstbild und seinem Selbst-
Konzept vereinbaren. Er kann dabei
O die neue Erfahrung akzeptieren und in
Beziehung
zu seinem Selbstkonzept set-
zen,
oder
WPB 1/1987 9 |
Kommunikationsbarrieren 1. Befehlen, kommandieren, anordnen.
Beispiel: „Hör aufzujammern und 2. Warnen, drohen. Beispiel: Reiß dich
lieber zusammen, wenn du erwartest, in 3. Moralisieren, predigen, mit
„müßtest" und „solltest" argumentieren. Bei- 4. Raten, Lösungen oder Vorschläge
anbieten. Beispiel: „Es ist gut für dich, 5. Belehren, Vorträge halten, mit
logischen Argumenten kommen. Beispiel: 6. Verurteilen, kritisieren,
widersprechen, beschuldigen. Beispiel: „Entweder 7. Beschimpfen. Klischees
verwenden, etikettieren. Beispiel: „Du benimmst 8. Interpretieren, analysieren,
diagnostizieren. Beispiel: „Du versuchst einfach, 9. Loben, zustimmen, positive
Bewertungen geben. Beispiel: „Eigentlich bist 10. Beruhigen, mitfühlen, trösten,
unterstützen. Beispiel: „Du bist nicht der ein- 11. Fragen, sondieren, verhören, ins
Kreuzverhör nehmen. Beispiel: „Glaubst 12.
Zurückziehen, ablenken, sarkastisch sein, aufheitern, zerstreuen. Beispiel: |
O die Erfahrung einfach ignorieren, da er
keine
Beziehung zu seinem Selbst erken-
nen und wahrnehmen kann, oder
O die neue Erfahrung verändern bis sie in
sein
eigenes Konzept paßt.
Trotz der
möglichen Abwehrhaltungen
hat jeder Mensch andererseits die grundle-
gende Tendenz, sich zu verwirklichen
und
zu vervollkommnen, d.h. sich für neue
Erfahrungen zu öffnen und sich kreativ
neuen Ereignissen anzupassen (Rogers,
1972).
Wir müssen wissen, daß der Ratsuchende
in der Beratungssituation
durch einen sehr
widersprüchlichen Prozeß
geht. Wenn er
sich in die Beratungssituation begibt und
öffnet, muß er sich und einem ändern
gegenüber eingestehen, daß er (wenig-
stens augenblicklich) nicht alleine mit sei-
nem Problem fertig wird. Dies bedeutet
für ihn eine narzißtische Kränkung, die
vom Berater aufgefangen, nicht aber aus-
genutzt werden soll. Der Ratsuchende
benötigt Ermutigung und eine Atmos-
phäre der Sicherheit, die von den o.a.
Grundhaltungen getragen wird. Es kann
also zunächst nicht darum gehen, den Rat-
suchenden zu überzeugen, was wahr und
problemlösend ist.
Beratungskontext
An drei Beispielen möchten wir nun der
Frage
konkret nachgehen, wie der Ratsu-
chende
und der Berater von zeitlichen,
räumlichen
und sozialen Kontext sowohl
in der Beratungssituation als auch bei der
Problembetrachtung
beeinflußt werden
können.
O Ein Beratungsgespräch findet in einem
Rektoratszimmer
statt. Der angeblich ver-
haltensgestörte
Schüler wurde acht Tage
vor diesem
Gespräch mit dem Beratungs-
lehrer
in diesem Raum vom Rektor ver-
warnt.
Der Beratungslehrer sitzt jetzt hin-
ter dem
dicken Schreibtisch. Wie fühlt er
sich?
Als kleiner Rektor? Welche Gefühle
hat der
Schüler? Welche Rolle spielt die
Räumlichkeit
in der Beratungssituation ?
O Ein Beratungslehrer unterhält sich mit
einem
Schüler über dessen Schulleistun-
gen.
Der Schüler reagiert abwesend und
denkt
immer an die Mathematikarbeit, die
er in
der vorhergehenden Stunde wahr-
scheinlich
verhauen hat. Der beratende
Lehrer
wird durch Telefonanrufe abge-
lenkt
und denkt des öfteren an die nächste
Unterrichtsstunde
mit einer besonders
schwierigen
Klasse. Welchen Einfluß hat
die Vergangenheit,
die Gegenwart und die
Zukunft
auf
beide?
O Ein Schüler wird von einem Lehrer als
stark verhaltensgestört und auffällig dar-
gestellt.
Der Lehrer hält einen frontalen
Unterricht, in dem die Schüler vor allem
ruhig
rezipieren müssen. Die Mehrzahl
der Schüler verhält sich
angepaßt und
unauffällig und reagiert nur bei Aufforde-
rung durch den Lehrer. Als der
Schüler
dann in eine sehr lebhafte Klasse über-
wechselt, fällt er nicht mehr
besonders auf
und erscheint integriert. Vor dem lebhaf-
ten Hintergrund hebt sich die Figur
des
Schülers nicht so ab, wie in der
ruhigen
Klasse. Wie sieht der Berater das
Problem
unter dem Aspekt des ganzen Umfeldes?
Deshalb müssen wir in
Beratungsgesprä-
chen auch auf die äußere Atmosphäre
ach-
ten und Störgrößen (wie
beispielsweise
Telefonanrufe, hektische Atmosphäre,
Ablenkungen etc.) unterbinden.
Der Beratungsprozeß
In Beratungen finden sich trotz verschie-
dener
Methoden und Techniken der Bera-
ter
immer wieder ähnliche Problemlöse-
prozesse,
die die Grundlage für die Tech-
nik und Strategie bilden können. Die Pro-
zesse können sich mehrmals wiederholen.
Die
wichtigsten Fixpunkte:
1. Situations- und Beziehungsdefinition
Zunächst
muß eine Beziehung zwischen
Ratsuchenden
und Berater hergestellt und
verankert
werden. Egal ob die Beziehung
und
Beratungssituation bewußt definiert
wird, —
es treffen Erwartungshaltungen
aufeinander, die die Situation reglemen-
tieren.
Der Berater muß Zugang gewin-
nen, ohne die Fäden aus der
Hand zu
geben.
2. Problemdefmition und -analyse
Während
bestimmte Berater die Proble-
matik
genau und rational mit dem Ratsu-
chenden
definieren wollen, arbeiten
andere
eher die Gefühle des Ratsuchenden
heraus.
Wieder andere Berater versuchen,
den
Ratsuchenden durch Zieldefmitionen
schon
von vornherein vom Problem abzu-
trennen
oder dem Ratsuchenden bewußt
zu
machen, daß das problematische Ver-
halten
irgendeinen „positiven Zweck" ver-
folgt.
Generell aber gilt:
In dem
Maß, wie der Berater den Ratsu-
chenden
in dieser Phase akzeptiert oder
infrage
stellt, lernt der Ratsuchende das-
selbe
mit sich selbst zu tun.
3. Umdeutung, Löschung — Distanzierung
vom
Problem — die Entwicklung von Einsicht
Letztlich
muß der Ratsuchende zu seinem
Problem eine neue Position
beziehen.
Dadurch gewinnt er Einsicht und kann
evtl. auch seine negativen Gefühle
löschen. Neue Einstellungen können
aber
auch verwirren und frustrieren, vor
allem
wenn sie mit unrealistischen
Forderungen
an den Ratsuchenden verbunden sind.
4. Andere
Lösungsmöglichkeiten und
Lösungskontrollen
Das problematische Verhalten wird auf-
gegeben, wenn etwas Besseres gefunden
ist.
Hier schließt sich der Kreis, denn was das
Beste
für den Ratsuchenden ist, muß die-
ser
und
dessen Wirklichkeit entscheiden:
Er muß
Verantwortung für sich überneh-
men.
Strukturierungshilfe:
Problemlösestrategie
Die genannten Schritte in Problemlöse-
prozessen kann man auch bei der Bera-
tung
von Gruppen als Strukturierungs-
hilfe
nutzen, man gibt der Gruppe diese
Fixpunkte
als Diskussionsrahmen.
Ziel
ist es, den Diskussionsprozeß in der
Gruppe
durchschaubar zu machen und
alle am
Konflikt oder Problem Beteiligten
in den Problemlöseprozeß einzubeziehen.
Bei
einem Konflikt zwischen Lehrern/
Schülern
kann man beispielsweise syste-
matisch
fragen:
Problemdefinition — analyse: Wie sehen
Lehrer
das
Problem? Wie sehen Schüler
das Problem? Worin unterscheiden sich
die
Sichtweisen? Welches Bedingungsmo-
dell
des Problems können alle Beteiligten
akzeptieren?
Zielanalyse —, planung: Was wollen alle
Beteiligten
erreichen? Welchen Weg, wel-
ches
Verhalten wählen die Beteiligten?
Lösungsrealisation —, kontrolle:Wie unter-
scheidet
sich die Lösungsalternative
vom
angestrebten Lösungsweg? Welche
Schwierigkeiten
ergeben sich? Wurde das
Ziel erreicht? Wie beurteilen die Beteilig-
ten den
Lösungsversuch?
Methodische Hilfen:
z. B. „Türöffner",
Aktives Zuhören
Auf die komplizierte und komplexe Bera-
tungssituation
geben Gesprächstherapeu-
ten eine einfache, fast zu
bescheidene
Antwort: Schweigen und aktives Zuhören.
Bekanntlich kann man nicht nicht
kom-
munizieren (Watzlawik u. a. 1969). Ob
wir
wirklich zuhören, verraten wir in
vielen
„Türöffner": Nicht festlegende Aufforderung
Eine
meiner Schülerinnen hielt sich, wann immer Gelegenheit sich bot, in mei-
ner
Nähe auf, als ob sie etwas sagen wollte, aber nicht wußte, wie sie anfangen
sollte.
Gestern beschloß ich, es mit einem Türöffner zu versuchen und abzuwar-
ten,
was geschehen würde. Ich fragte sie: — Gibt es etwas, über das du mit mir
sprechen
möchtest? — Zuerst stotterte sie so herum und wußte nicht, wo sie
anfangen
sollte, und ich biß mir auf die Zunge und hielt mich an — Hmhm — und
— Aha
—. Endlich taute sie auf und redete zehn Minuten lang ohne Punkt und
ohne
Komma. Ich hatte keine Ahnung, daß sie so viel mit sich herumschleppte.
Es fiel
mir wirklich sehr schwer, keine Fragen zu stellen. Nach diesem kurzen
Gespräch
von zehn Minuten schien ihr sehr viel besser zu Mute zu sein, und ich
fühlte mich ihr richtig nahe. Am Ende drückte sie mir die Hand. Es ist unglaub-
lich,
wie sehr es ihr half, daß ich einfach nur zuhörte... (Gordon 1977)
non-verbalen Reaktionen, wie Nicken, die
Stirne
runzeln, freundliches Lächeln zei-
gen und
mit verbalen Winken, wie Mm,
aha usw.
Mit nicht festlegenden Aufforde-
rungen
ermuntern wir den Ratsuchenden:
„Möchtest du mehr darüber erzählen?" —
oder:
„Das klingt, als berührt dich das sehr
stark",
— oder: „Möchtest du mehr dar-
über sprechen?. Wichtig ist,
daß dies
offene Botschaften sind, die keine Bewer-
tung dessen, was gesagt wird,
enthalten
(siehe Kasten). Die Muster, die
hervorra-
gende Therapeuten benutzen, um eine
Beziehung, einen „Rapport" zum
Klienten
herzustellen, sind sehr ähnlich,
wenn die
Art der Verpackung auch verschieden
ist.
Es gelingt ihnen, genau auf der
Wahrneh-
mungsebene des Klienten in Kontakt zu
treten (Bandler, Greinder 1983). Es gibt
Ratsuchende, die (abgesehen von
Körper-
signalen) auch durch den Gebrauch
bestimmter Verben verraten, ob sie
mehr
im visuellen Bereich, auditiven
oder kin-
ästhetischen Bereich denken.
Zuhören und Schweigen ist also weit mehr,
als wir zunächst einmal äußerlich
ver-
muten könnten!
Paraphrasieren und
Verbalisieren emo-
tionaler Erlebnisinhalte
Mit der Technik des Paraphrasierens wie-
derholen
oder umschreiben wir die Aus-
sagen
des Ratsuchenden mit unseren eige-
nen
Worten. Der Ratsuchende kann
erkennen,
wie wir seine Aussage verstan-
den
haben. Dadurch können Mißver-
ständnisse sofort beseitigt
werden. Ein
Schüler sagt beispielsweise zum beraten-
den Lehrer: „Ich kann das einfach
nicht.
Ich bin dafür nicht begabt. Mein
Bruder
war in Deutsch genauso schlecht. Wie
soll
das nur weitergehen?". Der
Lehrer ant-
wortet: „Du glaubst, daß du in
Deutsch
unbegabt bist und weißt nicht, wie
du dich
verbessern kannst". — Das Paraphrasieren
kann dabei in Aussageform (du
glaubst...)
oder in Frageform „glaubst
du..." erfol-
gen.
Abgesehen davon, daß Wiederholungen
echohaft
klingen können, besteht nun die
Gefahr
beim Paraphrasieren, daß der
Berater
auf einer ganz anderen Wahrneh-
mungsebene
antwortet. Schüler: „Also
wissen
sie, lange Zeit konnte ich sehen,
wie ich
tatsächlich aufstieg und immer
besser
wurde, und dann plötzlich, habe ich
mich einmal umgeschaut, mein Leben sah
leer
aus. Immer nur Lernen und Arbeiten.
Können
sie sich das vorstellen? Ich meine,
können
sie sich ein Bild davon machen,
was das
für mich bedeutet?" Lehrer: „Ich
glaube,
sie empfanden nach ihrem Auf-
stieg Leere und sie wollen
das Gefühl
ändern". Hier hebt der Berater auf
kinäste-
tische Empfindungen ab, obwohl der Rat
suchende eindeutig sich im visuellen
Bereich bewegt. Es wird also beiden
schwer
fallen, einen „Rapport" herzustel-
len.
Gerade beim Verbalisieren emotionaler
Erlebnisinhalte,
einer effektiven ge-
sprächstherapeutischen
Technik, müssen
wir
vorsichtig sein, nicht die Wahrneh-
mungsebenen
zu verwechseln. Es besteht
auch die
Gefahr, daß sich der Ratsuchende
immer wieder mit seinem
Gefühl im
Kreise bewegt, wenn er nicht durch einen
Anker des Beraters herausgeführt
wird.
Was ist das Verbalisieren emotionaler
Erlebnisinhalte? Ein Beispiel: „Ich kann
das einfach nicht. Ich bin dafür nicht
begabt. Mein Bruder war in Deutsch
genauso schlecht. Wie soll das nur weiter-
gehen?" Der Lehrer verbalisiert
die
Gefühle, die in dieser Aussage
mitschwin-
gen: „Du hast Zweifel, daß du besser
wer-
den kannst und Angst, daß sich deine Lage
nicht bessert, eher
verschlechtert". Der
Schüler teilt seine Gefühle indirekt
mit.
Der Lehrer spiegelt ihm in seiner
Antwort
seine Gefühle direkt wider. Dadurch kann
Schüler seine Gefühle besser
erkennen
und sich besser mit ihnen
auseinanderset-
zen. Außerdem erfährt er, wie er mit
sei-
nen Aussagen auf den Lehrer wirkt.
Er
lernt am Modell des beratenden Lehrers,
seine Gefühle direkt auszudrücken.
Das
ist eine Voraussetzung,
Verantwortung für
die eigenen Gefühle zu übernehmen.
Die
Wahrnehmungsebenen werden erweitert.
Das Verbalisieren von Gefühlen kann
Gefühle so bewußt machen, daß sie plötz-
lich voll ausbrechen und den
Ratsuchen-
den ergreifen. Nur eine akzeptierende
und
entspannte Atmosphäre wird erlauben,
den Gefühlsausbruch nutzbringend zu
bearbeiten. Beim Verbalisieren emotiona-
ler Erlebnishaltungen müssen wir aufpas-
sen, daß wir nicht zu schnell ins Interpretie-
ren verfallen oder unseren Gesprächspart-
ner mit Gefühlen konfrontieren, die
ihn so
erschrecken, daß er aus innerem
Wider-
stand die Beratung abbricht.
Gefahren und Einwände
Wesentliches Ziel partnerzentrierter Bera-
tung ist
es, den Ratsuchenden zur eigenen
Einsicht,
zur Selbsthilfe und zur Verant-
wortung
anzuregen. Der Ratsuchende soll
ernst
genommen werden und im Mittel-
punkt
des Beratungsprozesses stehen.
Wenn man
dieses Ziel betrachtet, ohne
den dahinterliegenden
Beratungsprozeß
zu
beachten, könnte der Eindruck entste-
hen,
als ob der Berater nur das Problem
zurückgibt
und sich jeglicher Verantwor-
tung
entledigt.
Das Zuhören als aktiver Prozeß ist mehr
als nur
das Zurückgeben oder gar Abweh-
ren des Problems oder
ein-sich-selbst-
überlassen des Ratsuchenden. Im Berater
spiegelt sich das Problem des
Ratsuchenden.
Der Ratsuchende kann das Problem
quasi
wie im Spiegel sehen, der nicht
sofort wer-
tet und abblockt und Lösungen aufdrängt.
Dieser Spiegel gibt das Problem verändert
wieder.
Er entzerrt Gefühle und Bedin-
gungszusammenhänge.
Eine tragfähige
vertrauensvolle
Beziehung ist Vorausset-
zung,
daß sich die Ratsuchenden einen
persönlichen
Notstand eingestehen und
zu sich
selbst Kontakt aufnehmen kön-
nen.
Ratsuchende sollten im Idealfall freiwillig
zur
Beratung kommen. Viele Ratsu-
chende stehen jedoch unter einem großen
Leidensdruck
und sozialen Druck, viele
Kinder
und Jugendliche werden regel-
recht
zur Beratung „abgeliefert". Auf der
anderen Seite fehlt das
Wissen über
Beratungsmöglichkeiten, und es besteht
Furcht oder Abneigung vor einer Bera-
tung.
Organisationen, Familien usw. haben als
Systeme die Tendenz, sich
soweit zu
bewegen, daß es möglich ist, sich eben
nicht zu verändern, heißt es in einer
Systemregel.
O Oft wird ein sogenannter schwieriger
Fall
oder das Problemkind beim Berater
„abgegeben".
Der soll es in Ordnung brin-
gen, um
es wieder in das System zu inte-
grieren.
Dabei ist doch klar: Jeder lehnt für
seine Person
die Definition des „Klienten"
und
Nutznießers des Beraters ab.
O Durch Schuldzuschreibungsprozedu-
ren werden der schwierige Fall oder sein
Berater
zum Sündenbock erklärt, wenn
sich
das Problem nicht lösen und wieder
integrieren läßt. Lehrer suchen das Pro-
blem im
betreffenden Schüler oder in sei-
ner
Familie, selten in der Schule oder der
Unterrichtsgestaltung begründet. Umge-
kehrt schreibt die Familie der Schule und
dem
Lehrer alle Schuld zu ...
O Das System sucht sich die Bestätigung
des eigenen
Standpunktes durch den
Berater.
Der Berater wird in eine Richter-
rolle
gedrängt, in der er möglichst wissen-
schaftlich das Problem und dessen Unlös-
barkeit
bestätigen soll.
Letztenendes wird dann der Problem-
schüler
in einer besonderen Einrichtung
zur
Reparatur überwiesen, wenn es dem
Berater
nicht gelingt, Zugang zu allen am
Problem Beteiligten zu gewinnen und das
Problem kooperativ in die Mitte zu legen.
Der
Berater darf deshalb weder als Anklä-
ger und
Kritiker, noch als Therapeut, noch
als pädagogischer
„Überfachmann" auftre-
ten.
Er muß den Beteiligten beibringen, daß
allein
ihm als Berater nicht einfach die
Verantwortung
für die Lösung eines Kon-
fliktes
übertragen werden kann. Er soll
und kann
nicht die Anlaufstation sein, die
im
Notfall die Probleme auf die eigenen
Schultern lädt, um andere damit zu ent-
lasten.
Kollegen und Eltern zur Mitarbeit
zu gewinnen, ist eine schwere, aber ent-
scheidende
Überzeugungsarbeit, die beim
Berater die Bereitschaft voraussetzt, seine
Rolle
offen darzulegen und seine beschei-
dene
Kompetenz als Vermittler zu ver-
deutlichen
und vor allem wahrzunehmen.
Und
last but not least: Er muß damit rech-
nen, daß
Mißerfolge auf ihn zurückgeführt
werden
und die „Problemanden" Erfolge
sich
selbst zuschreiben... O
Literatur:
Bachmair,
S. u. a.: Beraten will
gelernt sein.
Weinheim 1983, 19853
Bandler, R., Grinder, J.: Neue Wege der Kurz-
zeit-Therapie
Paderborn 1981
Gordon,
Th.: Lehrer
— Schüler — Konferenz.
Hamburg
1977
Kolb, R.: Ein integrierter Ansatz für die Fortbil-
dung zum
Beratungslehrer. In: Psychologie in
Erziehung und Unterricht. 30. Jg., S. 310-318,
1983
Kolb, R.: Probleme bei Fallgesprächen in päda-
gogischen,
rehabilitativen und psychiatrischen
Einrichtungen. In: Psychologie
in Erziehung
und Unterricht. 32. Jg., S. 47-52, 1985
Kolb, R.: Beraten statt belehren. In: Schul-
praxis. 6. Jg., Bd. 3, S. 20-22, 1986
Rogers, C.R.: Die nichtdirektive Beratung.
München 1972
Rüdiger Kolb, Jg.
1948,
Dipl.-Psych.;
Dipl.-Päd.;
Referent
für die
Beratungslehreraus-
bildung
in Baden-
Württemberg
Westermanns Pädagogische Beiträge 1/1987 13
|